Vor anderthalb Jahren berichteten wir das erste Mal über Alexa. Die junge Frau stand damals kurz vor ihrem 18. Geburtstag und damit vor dem Auszug aus dem Kinderdorf. Jetzt haben wir sie wieder getroffen und nachgefragt, wie es ihr ergangen ist.
Es ist fast so, als wäre kein Tag vergangen. Alexa hat das gleiche offene Strahlen in ihrem Gesicht wie im Juli 2019. Sie sitzt im Garten ihrer ehemaligen Wohngruppe im Kinderdorf Steinbach. Dort wurde sie mit sieben Jahren aufgenommen und fand in dem Team und den Kinderdorfgeschwistern eine zweite Familie. Zu Wohngruppenleiterin Grit hat sie nach wie vor ein enges Verhältnis. Alexa kommt regelmäßig zu Besuch, sehr häufig telefonieren sie und Grit miteinander. „Egal, was ich auf dem Herzen habe, ich weiß, dass ich sie immer anrufen kann“, sagt die junge Frau. Die Unterstützung ist ihr in jedem Fall sicher.
Verbundenheit, die nie endet
Auch an diesem Tag hat die Wohngruppenleiterin der 19-Jährigen geholfen. Der Besuch im Kinderdorf war schon länger geplant. Alexa hat frisch den Führerschein in der Tasche und wollte das erste Mal alleine mit dem Auto nach Steinbach kommen. Doch die Batterie hatte schlapp gemacht. „Also hat Grit mich abgeholt und hierhergefahren“, freut sich Alexa. Diese Geste zeigt ein weiteres Mal, dass Verbundenheit nichts mit direkter Verwandtschaft zu tun haben muss. Familie ist bunt und wird im Kinderdorf mit Leib und Seele gelebt. So wissen auch unsere Careleaver – also (junge) Erwachsene, die einmal im Kinderdorf gewohnt haben – dass sie jederzeit einen Ansprechpartner haben, wenn sie das denn möchten.
Erwachsenwerden im Schnelldurchlauf
Und einen Ansprechpartner benötigen in der Regel alle Careleaver. Denn wer in einer stationären Kinder- und Jugendeinrichtung, zu der die Kinderdörfer gehören, aufwächst, muss meist mit 18 ausziehen und allein klarkommen. „Das ist völlig konträr zur Normalität in Deutschland“, sagt Daniela Bachmann. Sie ist Bereichsleiterin in Steinbach. „Laut Statistik leben 28 Prozent der 25-Jährigen noch bei ihren Eltern. Ihnen bleibt also viel mehr Zeit, sich auf das Erwachsenenleben vorzubereiten. In der stationären Kinder- und Jugendhilfe ist mit spätestens 21 Schluss, meistens aber schon mit 18. Dabei kommen Kinder zu uns, die einen schweren Start hatten und nicht selten enormen Aufholbedarf haben. Trotzdem müssen sie zeitiger erwachsen bzw. selbstständig sein, als Gleichaltrige. Im Albert-Schweitzer-Kinderdorf legen wir daher vom ersten Tag an großen Wert auf Verselbstständigung. Das beginnt bei der Hilfe im Haushalt der Kleinsten, geht über das Waschen der eigenen Wäsche ab 14 und ab 17 beziehen unsere Jugendlichen in der Regel eine Einliegerwohnung im Kinderdorf. Dort trainieren sie das Alleine wohnen und alles, was dazu gehört.“
Ausbildung im Homeoffice
In so einer Einliegerwohnung wohnte auch Alexa, bevor sie nach Dresden zog. In der Landeshauptstadt macht sie seit einem Jahr eine Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. „Die Ausbildung macht Spaß, aber einiges könnte besser laufen“, resümiert sie. „Kaum hatte die Ausbildung am 1. März 2020 begonnen, kam der erste Lockdown und wir durften nicht mehr in die Berufsschule. Also hatten wir Homeoffice, was meist daraus bestand, uns Arbeitsblätter zuzuschicken. Ich habe in diesem Jahr unglaublich viel Geld für Druckerpatronen ausgegeben. Und auch jetzt, nach einem Jahr Pandemie, hat sich die Qualität des Distanzunterrichts nicht merklich verbessert. Dafür macht mir die Praxis großen Spaß.“ Alexa war zunächst für sechs Monate auf der Frühchen-Intensivstation eingesetzt, danach bei einem ambulanten Pflegedienst und jetzt ist sie in einem Altenheim, um praktische Erfahrungen zu sammeln. „Im Altenheim wird schon deutlich, wie am Gesundheitssystem zu lange gespart wurde“, sagt sie. „Da könnte vieles anders und besser laufen. Zu Grit habe ich schon gesagt: Du kommst mal nicht ins Pflegeheim, dich pflege ich selbst!“ Da ist sie wieder: Die tiefe Verbundenheit zur „zweiten Familie“, die Alexa als Geschenk sieht.
Elternarbeit als Grundstein
Dabei hat die 19-Jährige auch eine gute Beziehung zu ihren leiblichen Eltern. Dass das Verhältnis zwischen den Kinderdorfkindern und deren leiblich Eltern bestehen bleibt, dafür sorgt der Verein gemeinsam mit dem Jugendamt. „Es gibt verbindliche und individuell angepasste Besuchsregelungen und sogenannte Hilfeplangespräche“, sagt Daniela Bachmann. „Es ist wichtig, dass der Kontakt zu den Eltern nicht abbricht, solange er den Kindern guttut und die Kinder wissen, wo ihre Wurzeln sind.“
Alexas Wurzeln scheinen tief verankert. Vielleicht – oder gerade – weil sie im Grunde zwei Familien hat, die ihr Rückhalt geben. „Ich habe im Kinderdorf eine unglaublich tolle Chance bekommen, mich zu entwickeln. Wer weiß, ob alles so gekommen wäre, wäre ich bei meinen Eltern aufgewachsen“, sagte Alexa vor anderthalb Jahren. Vier jüngere, leibliche Geschwister – drei Brüder und eine Schwester – leben bei Alexas Eltern zu Hause. Eine weitere ältere Schwester wohnt bereits allein. Sie besucht ihre Herkunftsfamilie oft und hat ein gutes Verhältnis zu ihren Geschwistern. „Meine kleine Schwester kommt auch manchmal mit zu Besuch nach Steinbach“, erzählt Alexa. „Sie hat zwar nie dort gewohnt, ist aber jederzeit willkommen, genau wie ich.“