Von der Vision zur Wirklichkeit – Wie alles begann
1989 war ein Jahr des Aufbruchs. Während in Berlin die Mauer noch stand, traf Karin Stempel in Dresden eine ganz persönliche Entscheidung: Sie wollte ein eigenes Kinderdorf gründen. Die Zustände in den DDR-Kinderheimen, die sie kannte, ließen ihr keine Ruhe. Dann hörte sie vom Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg (Baden-Württemberg), fuhr hin, schaute sich alles an – und kam mit einer Vision zurück. Im Juni 1990 gründete sie mit Gleichgesinnten den „Sächsischen Kinderdorfverein“, der schon bald den Namen „Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Sachsen e.V.“ tragen durfte.
1996 eröffneten in Steinbach bei Moritzburg die ersten beiden Kinderdorfhäuser. 28 Kinder leben heute dort. Gemeinsam mit den drei Häusern in Dresden, die in den Folgejahren hinzukamen, schenkt der Verein inzwischen 49 Kindern ein neues Zuhause – in familiärer Gemeinschaft, mit verlässlichen Bezugspersonen und in einem Alltag, der trägt. Möglich gemacht wurde all das durch das außergewöhnliche Engagement von Karin Stempel und vielen Ehrenamtlichen, die in den bewegten Nachwendejahren mit Mut, Ideenreichtum und großer Beharrlichkeit etwas aufgebaut haben, das bis heute Bestand hat
Ein Festtag mit Symbolkraft – Gottesdienst in Moritzburg
Anlässlich des 35-jährigen Bestehens wurde am 1. Juni ein feierlicher Jubiläumsgottesdienst in der Kirche Moritzburg gefeiert. Bereits am Eingang begrüßte Anett Gietzelt, die gute Seele des Vereins, die Gäste mit einem herzlichen Lächeln – und mit liebevoll abgefülltem Jubiläumsapfelsaft.

Anett Gietzet, Sekretärin des Vereins, und Karin Stellmacher, Vorstandsmitglied, nehmen die Gäste in Empfang.
Nach dem Geläut hieß Gregor Bärsch, Geschäftsführer des Albert-Schweitzer-Kinderdorfes in Sachsen, die Besucherinnen und Besucher willkommen. In seiner Ansprache schlug er den Bogen von den Anfängen des Vereins bis hin zu Albert Schweitzer selbst, der 2025 seinen 150. Geburtstag gefeiert hätte. Schweitzer, Arzt, Theologe, Friedensnobelpreisträger und leidenschaftlicher Organist, gründete 1913 ein Krankenhaus im afrikanischen Lambarene – aus dem einfachen, aber kraftvollen Impuls heraus: „Wir wollen es versuchen.“ Dieser Geist des Aufbruchs, so betonte Gregor Bärsch, habe auch die Gründung des Kinderdorfes getragen – trotz aller Widerstände, mit viel Mut und dem tiefen Glauben daran, dass es möglich ist, die Welt für Kinder ein Stück besser zu machen.

Gregor Bärsch, Geschäftsführer des Albert-Schweitzer-Kinderdorfs in Sachsen e.V., begrüßt die Gemeinde.
Dank, Musik und Geschichten – Ein Blick zurück und nach vorn
Christoph Stempel, Pfarrer i.R. und Ehemann der Gründerin, gestaltete den Gottesdienst auf bewegende Weise. Es war ein Gottesdienst voller Wärme, Hoffnung und Musik. An der Orgel saß Markus Leidenberger, der über zwei Jahrzehnte Landeskirchenmusikdirektor in Sachsen war. Er spielte drei Stücke von Johann Sebastian Bach – darunter das Präludium in C-Dur (BWV 547) und zum Abschluss das Präludium in G-Dur (BWV 541). Die Musik war nicht nur ein festlicher Rahmen, sondern auch eine Hommage an Albert Schweitzer, der selbst unzählige Male Bach spielte und seine Musik als Ausdruck innerer Haltung verstand. Schweitzer hätte seine Freude gehabt an dieser Würdigung.
- Markus Leidenberger an der Orgel
- Christoph Stempel, Pfarrer i.R. und Mann Karin Stempels leitet den Gottesdienst.
- Der Gottesdienst ist gut besucht.
Ein besonderer Moment war der Auftritt von Karin Stempel. Mit einem großen Jutesack trat sie nach vorn – und erzählte die Geschichte des Kinderdorfes anhand dessen, was sie daraus hervorholte. Zwei schwere Steine etwa standen für die vielen Hürden und Stolpersteine, denen sie auf dem Weg zur Gründung begegneten – aber auch für das Fundament, das notwendig ist, um Häuser zu bauen. Als sie dann einen mit Helium gefüllten Luftballon aus dem Sack zog und diesen – sehr zum Schrecken der Kinder – einfach im Kirchenschiff aufsteigen ließ, sprach sie vom Loslassen, vom Vertrauen, davon, dass manches plötzlich leicht wird, wenn viele mithelfen. Auch Stroh war dabei – ein augenzwinkernder Hinweis auf die Kinderdorfpferde – und ein Gutschein für Eis, den die Kinder anlässlich des Kindertags erhielten.
- Karin Stempel hat einen großen Jutesack dabei.
- Darin befinden sich allerhand Überraschungen.
- u.a. ein Eis-Gutschein anlässlich des Kindertags.
Den Schlusspunkt setzte Uwe Kietzmann, Vorstandsvorsitzender des Vereins, mit einer kleinen Sammlung heiterer und nachdenklicher Anekdoten aus seiner jahrzehntelangen Vorstandstätigkeit. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm eine Kinderdorffahrt ins „ErNa“ nach Papstdorf. Eigentlich sollte alles pünktlich beginnen – doch fast alle trafen zu spät ein. Der Grund: An genau diesem Wochenende war Barack Obama in Dresden zu Besuch. Die Innenstadt war großräumig abgesperrt, Straßen blockiert, Wege unpassierbar. Was als entspannte Ausfahrt geplant war, wurde zu einer logistischen Meisterleistung – und zugleich zum Symbol dafür, wie flexibel, geduldig und humorvoll ein Kinderdorf sein kann, wenn es darauf ankommt.

Uwe Kietzmann, Vorstandsvorsitzender, setzte den Schlusspunkt.
Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die diesen Tag möglich gemacht haben – den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, den Spenderinnen und Spendern, allen Gästen, Helferinnen und Helfern – und nicht zuletzt Michael Zimmermann, dem Vorsitzenden der Kirchgemeinde Moritzburg, der uns mit seiner Gemeinde so offen und herzlich aufgenommen hat.
So wurde aus einem Festtag ein Tag der Erinnerung, der Begegnung – und der Ermutigung. Ganz im Sinne Schweitzers: „Das Wenige, was du tun kannst, ist viel.“