Es ist Mittwochnachmittag 15 Uhr. Vier Kinder zwischen sechs und zehn Jahren stürmen in den Bewegungsraum des Gemeinschaftshauses im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Steinbach. Sie wuseln wild durcheinander, tauschen sich noch über den Schultag aus. Anett Schumann, Kinderdorferzieherin und ausgebildete Yoga-Lehrerin, hat indes schon alles für die nächste Stunde vorbereitet: Es liegen Yogamatten bereit und in deren Mitte stehen Klangschalen auf einem Tuch, daneben liegen Kokosnussschalen und Murmeln. Mit diesen Materialien gestaltet Anett Schumann die heutige Yoga-Stunde im Kinderdorf. Kaum haben die Kinder ihren Platz auf der Matte eingenommen, wird es ruhiger. Alle wissen, was jetzt kommt: eine Atemübung. „Damit starten wir immer“, sagt Anett Schumann. „Und es ist ganz erstaunlich zu beobachten, wie die Kinder ganz schnell runterfahren, mit der Lotusatmung in die Stille gehen, und sich auf das Hier und Jetzt einlassen können. Sie kommen aus dem Trubel des Alltags – aber sobald sie sich auf die Matte setzen, sind sie in einer anderen Welt.“

Gefühlen einen Raum geben

Seit einem halben Jahr kommen die Kinder zu Anett Schumann zum Yoga. „Yoga war schon immer meine Leidenschaft“, sagt sie. „Deswegen habe ich zusätzlich zu meiner Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin schon zeitig Weiterbildungen besucht, um Yoga professionell anbieten zu können. Dieses Wissen jetzt auch im Kinderdorf einsetzen zu können, ist eine wunderbare Erfahrung für mich.“

Die Kinder profitieren enorm von dem Angebot. Da „ihre Anett“ auch stundenweise in den Wohngruppen arbeitet, ist sie eine Vertraute. „Die Kinder haben bei uns immer einen geschützten Rahmen – insbesondere beim Yoga“, sagt Anett. „Sie können hier auch Sachen besprechen, die sie belasten oder wütend machen. In der Schule hat etwas nicht funktioniert? Mama hat versprochen sie zu besuchen und ist dann doch nicht gekommen? Sowas können wir thematisieren und schauen, wie wir über das Yoga einen Weg finden, unsere Emotionen zu lenken.“

Mehr als nur Dehnungsübungen

Um die Kinder gut abzuholen, überlegt sich Anett Schumann im Vorfeld immer ein Thema. „Mal haben wir ‚Anna und Elsa‘-Yoga, mal ist unser Thema `Roboter‘, ‚Unterwasserwelt‘ oder ‚Planeten‘. Wichtig ist mir, die Kinder ganzheitlich anzusprechen. Im Yoga trainieren wir ohnehin sehr viel mehr als nur die Beweglichkeit. Auch die Konzentration wird mit den Übungen gestärkt. Und indem ich Spiele wie ‚Ich packe meinen Koffer‘ einbaue, wird das Gedächtnis gefordert.

Anett Schumann bietet nicht nur für die Grundschulkinder Yoga an. Auch die größeren Kids können zum Teenie-Yoga kommen. „Das ist natürlich noch einmal eine ganz andere Kategorie“, sagt sie. „Während die jüngeren Kinder leichter in die Übungen hineinfinden, fällt das den Jugendlichen manchmal etwas schwerer. Als Beispiel: Wenn wir eine Übung machen, in der es um Schlangen, ‚die Kobra‘, geht, dann machen die Teenies eben diese Übung der Kobra. Die Kleineren aber sind die Kobra. Sie können sich darauf ganz anders einlassen.“

Was für alle kleinen und großen Kursteilnehmer gleich ist: Sie dürfen einfach nur sein. „Im Yoga gibt es keinen Leistungs- oder Wettkampfgedanken“, sagt Anett Schumann. „Es geht um das Hineinspüren in den eigenen Körper. Um ein gesundes Selbstwertgefühl. Darum, Fehler machen zu dürfen.“

Dass wir den uns anvertrauten Kindern Yoga anbieten können, haben wir unseren Spenderinnen und Spendern sowie der WWK Kinderstiftung zu verdanken. Herzlichen Dank für die Unterstützung!


Beim „Hören mit den Füßen“ oder der Fußgymnastik, bei der Murmeln in eine Kokosnussschale sortiert werden müssen, wird der Körper ganzheitlich angesprochen.


Eine Atemübung in Partnerarbeit.


Rückzug in die „Höhle“


Manchmal findet das Yoga auch draußen statt. Hier haben die Kids ein Mandala aus Naturmaterialien gelegt.