Als Fiona vier Jahre alt war, kam sie ins Albert-Schweitzer-Kinderdorf nach Dresden. Jetzt ist sie 18, hat ihr Fachabi in der Tasche und ist auf dem Sprung ins Erwachsenenleben. Wie sie auf die Zeit im Kinderdorf zurückblickt und welche Pläne die junge Frau für die Zukunft hat, erzählt sie uns im Interview.

Kannst du dich an deinen ersten Tag im Kinderdorf erinnern?

Nein, überhaupt nicht. Ich war ja erst vier Jahre alt.

Wie waren die ersten Jahre im Kinderdorf?

In den ersten Jahren waren wir in meiner Kinderdorffamilie sechs Kinderdorfkinder. Davon waren meine drei Geschwister und ich – ich habe noch zwei ältere Geschwister und eine jüngere Schwester – die größte Geschwistergruppe in der Familie. Meine Kinderdorfeltern haben außerdem noch zwei leibliche Kinder. Wir waren also eine richtige Großfamilie mit allem Drum und Dran.

Aber nach und nach wurden alle groß und zogen aus.

Genau. Meine kleine Schwester (16) und ich sind jetzt die letzten beiden Pflegekinder. Vor zwei Jahren zogen wir aus dem großen Kinderdorfhaus in Dresden-Übigau in ein kleineres Haus an den Stadtrand von Dresden, nach Kleinnaundorf.

Fiona blickt ins Tal nach Dresden. Hier geht sie oft spazieren oder joggen, um den Kopf frei zu bekommen.

Wie fühlt es sich an, im Kinderdorf zu leben? Was magst du gerne?

Ich finde es gut, dass man im Kinderdorf eine zweite Chance bekommen kann. Ich glaube, ohne das Kinderdorf und die Hilfe meiner Kinderdorfeltern hätte ich mich nicht so gut entwickelt. Davon mal abgesehen, mag ich die Feste, die wir manchmal feiern. Beim Sommerfest oder der Ferienfahrt trifft man auch mal die anderen Kinderdorfkinder aus Dresden und Steinbach.

Was magst du nicht so gerne?

Puh, das ist schwer. Inzwischen mag ich eigentlich alles gern. Aber ich kann mich daran erinnern, dass es Zeiten gab, in denen ich mich immer wieder gefragt habe: „Warum kann ich nicht bei meinen Eltern sein?“ Besonders in der Grundschule kam diese Frage oft auf, wenn ich andere Kinder mit ihren Eltern sah. Mittlerweile fühle ich das aber ganz anders.

Wie sieht momentan dein Alltag aus?

Turbulent! (lacht) Ich habe mich nach dem Abschluss der zehnten Klasse dazu entschieden, noch die Fachhochschule zu besuchen. Da hatte ich jetzt Prüfungszeit. Parallel dazu hatte ich einen Aushilfsjob als Kellnerin und war auf Wohnungssuche. Und, das war natürlich auch ganz wichtig: Ich musste mich um eine Ausbildung kümmern. Das ist ganz schön viel auf einmal.

Auf deine Prüfungsergebnisse kannst du wirklich stolz sein. Die Fachhochschulreife hast du mit einer guten 2 erhalten. Welche Ausbildung strebst du damit an?

Eigentlich wollte ich Lehrerin werden. Das geht aber in Sachsen nur mit dem „normalen“ Abitur. Also habe ich mich anderweitig umgehört und bin über TikTok auf die Ausbildung der „Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste“, kurz „FaMI“, aufmerksam geworden. Dort erzählte eine TikTokerin von dem Beruf. Als ich dazu ein bisschen gelesen hatte, fand ich das ganz spannend und dachte, ich versuche einfach mal mein Glück bei der Städtischen Bibliothek Dresden. Die bilden selbst aus.

Wie kam deine Bewerbung an?

Ich wurde zu einem Aufnahmeverfahren vor Ort eingeladen, bei dem es verschiedene Durchläufe gab. Ich war in einer kleinen Gruppe mit vier anderen Bewerbern und wir mussten unterschiedliche Aufgabenstellungen bearbeiten und lösen. Nach dem Einzelgespräch war ich dann aber schon fast sicher, dass ich nicht genommen werde.

Warum?

Auf die Frage, ob ich gern lese, habe ich ganz ehrlich geantwortet, dass ich phasenweise sehr viel lese, manchmal aber auch gar nicht. Im Nachhinein dachte ich dann, eine andere Antwort wäre vielleicht besser gewesen.

Aber offenbar warst du mit deiner ehrlichen Antwort erfolgreich.

Ja, der erlösende Anruf kam im Pfingst-Urlaub. Wir waren gerade dabei aus dem Hotel auszuchecken, als mein Telefon klingelte. Die Nummer habe ich gleich erkannt und ich war supernervös. Ich dachte, sie sagen mir jetzt, dass es nicht geklappt hat. Aber das Gegenteil war der Fall und ich war so unglaublich erleichtert! Von den anderen Bewerbern aus meiner Gruppe wurde niemand genommen. Ich kann mich also sehr glücklich schätzen.

Drei Jahre lang war Fiona Teil der Theatergruppe des „tjg.Theater Junge Generation“. Um mehr Zeit fürs Lernen für die Abitur-Prüfungen zu haben, hat sie schließlich damit aufgehört. „Spaß gemacht hat es aber sehr“, sagt sie rückblickend.

Am 1. September startet deine Ausbildung. Bist du aufgeregt?

Ich freue mich total auf die neue Herausforderung und muss ehrlich sagen, dass ich froh bin, dass die Schule jetzt vorbei ist. Außerdem ziehe ich zurück nach Dresden und habe dann nicht mehr so weite Wege. Jetzt brauchte ich, um aus Kleinnaundorf zu meiner Schule nach Dresden zu kommen, 45 bis 60 Minuten pro Strecke mit dem Bus. Das war schon manchmal nervig. Ab September wohne ich dann recht zentral und kann alles wieder gut mit dem ÖPNV erreichen.

War es schwer eine Wohnung zu finden?

Ja, viel schwerer als gedacht. Ich wollte gern eine bezahlbare Zweiraumwohnung. Danach suchen in einer Stadt wie Dresden natürlich auch noch dutzende andere. Außerdem hat es mich fast umgehauen, wie viel teilweise für die Kaution gezahlt werden muss. Trotz des Nebenjobs, den ich während der Schulzeit hatte, bekam ich da erst einmal Angst, mir das nicht leisten zu können. Schließlich muss ich mich ja auch noch einrichten. Letztlich fand ich bei der Dresdner Genossenschaft eine schöne Wohnung für unter 10 Euro warm pro Quadratmeter. Und die Mitarbeiterin dort war so nett. Sie hat mir alles erklärt und gezeigt, da habe ich mich direkt wohlgefühlt.

Viele Jugendliche, die in die erste eigene Wohnung ziehen, bekommen finanzielle Unterstützung von ihren Eltern oder Großeltern, um sich die Ersteinrichtung zu besorgen. Wie ist das bei dir?

Beim Jugendamt kann ich 500 Euro für Erstausstattung beantragen. Das klingt vielleicht erst einmal viel, aber wenn man schaut, wie teuer alles geworden ist, ist das Geld auch schnell verplant. Eine Waschmaschine, ein Herd, ein Kühlschrank… schon sind 500 Euro weg. Dafür kann ich mein jetziges Bett aus dem Kinderdorf mitnehmen. Einen alten Schrank haben wir auch noch. Der ist zwar ein bisschen kaputt, aber geht schon noch für den Anfang. Ein Sofa wurde mir von Jysk gespendet. Der größte Posten, der nun ansteht, ist eigentlich eine kleine Küche. Dabei habe ich überhaupt keine großen Ansprüche. Und Ulrich, mein Kinderdorfvater, unterstützt mich an dieser Stelle, wo er kann. Ich schaue außerdem viel bei Kleinanzeigen. Um gut über die Runden kommen zu können, habe ich jetzt noch einen zweiten Job angenommen.

Du arbeitest also aktuell in zwei Jobs?

Genau. Etwa 20 Stunden als Kellnerin und dann noch 20 Stunden in einer Eisdiele. Das Einkommen spare ich für die Kaution, die erste Monatsmiete, die Nebenkosten und das Essen. Mein erstes Ausbildungsgehalt bekomme ich ja erst am Monatsende des Septembers. Das heißt, diesen einen Monat muss ich mit Erspartem überbrücken. Das habe ich mir aber alles gut durchgerechnet.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich bin gerade so sehr mit der Gegenwart beschäftigt, dass es mir schwerfällt, in die Zukunft zu blicken. Ich wünsche mir einfach, dass alles so klappt, wie ich es mir vorstelle.

Fionas Hobby ist das Malen. An diesem Teich hat sie schon einige Bilder auf Leinwand gebracht.

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